Dienstag, 24. Januar 2023

Fritz Grünbaum: Krieg am Schreibtisch

 


Krieg am Schreibtisch

Drin im warmen Arbeitszimmer
Seiner Zeitungsredaktion
Sitzt beim trauten Ampelschimmer
Der Herr Doktor lange schon.
Rasch nimmt er vom Bier ein Schlückel,
Und dann stürzt er sich voll Hast
In den wilden Leitartikel,
Der sich mit dem Krieg befaßt.
Und er legt die Stirn in Falten,
Und er schreibt mit flinker Hand:
»Unsre Pflicht ist durchzuhalten,
Gut und Blut fürs Vaterland!«

An der Türe klopft es still,
Und der Diener Nawratil
Bringt dem tapfern Redakteur
Für'n Dezember das Salair
Und entfernt sich still und heiter,
Und der Doktor – der schreibt weiter:

»Wenn Entbehrung uns beschieden,
Johlt umsonst der Gegner List,
Denn wir wollen keinen Frieden,
Eh' der Feind vernichtet ist!
Und wir hungern, und wir dürsten,
Bis der Feind im Staube liegt,
Denn wir sind das Volk der Fürsten,
Welches hungert, schweigt und – siegt!«

An der Türe klopft es still,
Und der Diener Nawratil
Bringt dem tapfern Redakteur
Eine Extrawurst daher,
Der beißt ab davon ein Stückel
Und – setzt fort den Leitartikel:

»Vor der Mißgunst und dem Neide,
Die dem Tod uns wollten weih'n,
Flog das Schwert uns aus der Scheide,
Und nun stecken wir's nicht ein.
Kommt in unsre Schützengräben,
Wo der Schnee oft fußhoch steht,
Überzeugt euch, ob wir beben,
Wenn der Regen niedergeht!
Fremd ist Greinen uns und Maulen,
Bläst der Nord uns um die Ohr'n!
Frieden? Ja! – Doch keinen faulen,
Lieber weiter kühn gefror'n!«

An der Türe klopft es still,
Und der Diener Nawratil
Tritt herein in das Gemach,
Legt das Holz im Ofen nach
Und entfernt sich still und heiter,
Und der Doktor – der schreibt weiter:

»Fern der Heimat, in der Kehle
Würgt der Schmerz ums traute Weib,
Bitter sehnt sich Leib und Seele,
Namentlich sehnt sich der Leib,
Auszuruh'n und stillzusitzen
Bei der lieben Frau zuhaus – –
Doch nun soll'n die Schwerter blitzen,
Bis dem Feind die Luft geht aus!
Trautes Weib, noch kann nicht kommen
Ich nachhaus zu unserm Glück,
Erst wenn einst der Preis gewonnen,
Kehren siegreich wir zurück!«

An der Türe klopft es still.
Doch jetzt ist's nicht Nawratil,
Nein, im Schlafrock aus Muss'lin
Tritt die Gattin vor ihn hin,
»Komm doch«, lockt sie, schelmisch, heiter,
Und der Doktor – schreibt nicht weiter!

Fritz Grünbaum, aus: Vom seligen Zensor. Demobilisierte Gedichte, Wien und Leipzig 1919

Fritz Grünbaum, geboren am 7. April 1880 in Brünn, Österreich-Ungarn; gestorben am 14. Januar 1941 im KZ Dachau), Kabarettist, Operetten- und Schlagerautor.

Am 10. März 1938, dem Tag vor dem Einmarsch der deutschen Truppen nach Österreich spielte er mit Karl Farkas ein letztes Mal im Simplicissimus. Danach erließ die Reichskulturkammer Auftrittsverbote für jüdische Künstler. Grünbaum versuchte einen Tag später mit seiner Frau in die Tschechoslowakei zu flüchten, wurde an der Grenze aber abgewiesen. Eine Weile versteckte er sich in Wien; dann wurde er verraten und am 24. Mai 1938 in das Konzentrationslager Dachau deportiert. Später wurde er nach Buchenwald und schließlich wieder nach Dachau gebracht. Er starb – laut Totenschein „an Herzlähmung abgegangen“ – am 14. Januar 1941 im KZ Dachau, nachdem er an Silvester noch ein letztes Mal vor seinen Leidensgenossen aufgetreten war. Er starb entkräftet von Tuberkulose, trotzdem verstummte seine spitze Zunge bis zum Schluss nicht. Er conferierte zum Beispiel, wie er das „Tausendjährige Reich“ zu besiegen gedenke oder dass der völlige Mangel und das systematische Hungern das beste Mittel gegen die Zuckerkrankheit sei. Als ihm ein KZ-Aufseher ein Stück Seife verweigerte, antwortete Grünbaum: „Wer für Seife kein Geld hat, soll sich kein KZ halten“ (Wiki)

Das Bild ist von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948) 

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