Fünf Gedichte
I
Nicht die, mein Gott, so jähe Messer schwenken,
Nicht die, welch Liebe blöd verführte,
Noch die, die in dem Elend andrer waten.
Wer unsres Lebens steten Tod verspürte,
Dem die Gedanken breiten Rücken senken;
Die jahrelang das Nichts als einz’ges taten.
II
Dies taube Liegen auf Gedanken
Hohl wie die Rücken gleitender Messer;
Der Schmerz vor Lauten, die Gedanken widerlegen.
Es mögen sich Begriff um das Starre ranken,
Du bohrst dich in die Leere immer besser,
Bis du erschluchzst nach irrer Schreie Segen.
Daß deine aufgedrungen starren Augen schwanken,
Daß deiner Hohlheit Tore sich verbögen
Und du in deiner Nullheit niederbrichst.
III
Du bist nun gänzlich eingedrungen,
Vergaßest auch den Stuhl, worauf du sitzest;
Du starrst, daß du im Winter an dem Flusse schwitzest.
Die Luft ist dir versandet und geronnen,
Die Füße hackte dir das Ruhen ab
Und in der Stille weißt du nicht dein Grab.
Die Blitze stumpfen ölig in der Ruhe,
Des Ungewitters Mühe gießt vergeblich
Und deine Füße kosten nur die Schuhe.
Noch lange, nie erwarte deinen Gott;
Denn schmutzig liegst du, unerheblich,
Und deine Leere ist sein Spott.
IV
Der Städte abgedrehte Lichte,
Der Trunknen Fallen in den frühen Straßen,
Der Mörder nichtiges Geheule.
Sie preisen abgelegene Gesichte,
Vor denen sie gleich schlechtem Wind vergasen.
Und Gott steht tastend an der Beule,
Die er genannt, als er sich selbst verschworen
Und gegen seinem Atem seine Hand gerafft.
Vor seinem Fuß entsank die Keule.
So hat er dies Geschöpf in Sünd´ geschafft.
V
Ich tat mir Lieb mit Lieb erwürgen
Und wählte der Geliebten meinen Feind zum Gegengift.
Doch die Geneigtheit stellte Feindschaft sich als Bürgen.
Dieweil die Beiden in die Schultern sich verbissen.
Hat totes Lieben mich in jähes Sterben eingekleidet,
Und zwischen zweien zugebeugten Klippen bin ich eingeschifft.
Wem hätt´ ich stummes Irrsein je geneidet!
So seh ich brennend mich dem Gott entfernt,
Und lustlos makelnd tausche ich Gefühle.
Gedanken sinken mir entsternt.
Und Huren drehen taubem Korn die Mühle.
Carl Einstein, aus: Gesammelte Werke, herausgegeben von Ernst Nef, Limes Verlag Wiesbaden 1962, auch in Die Aktion, 1914 / 1916
Carl Einstein, eigentlich Karl Einstein, geboren am 26. April 1885 in Neuwied; gestorben am 5. Juli 1940 in Boeil-Bezing in Frankreich nahe der spanischen Grenze, Kunsthistoriker und Schriftsteller.
Einstein war mit dem Dichter und Kritiker Ludwig Rubiner seit der Universitätszeit befreundet, um 1910 machte ihn Franz Blei mit Kurt Hiller und Franz Pfemfert bekannt. Einstein veröffentlichte seine erste Kunstkritik in dem von Pfemfert betreuten Demokraten (1910), theoretische und literarische Texte erschienen seit 1912 regelmäßig in der berühmten politisch-expressionistischen Zeitschrift Pfemferts, der Aktion. Der Roman Bebuquin oder die Dilettanten des Wunders (1912) löste eine kleine philosophisch-literarische Sensation aus (akausale „absolute Prosa“). Parallel zur literarischen Arbeit verfasste er zahlreiche kunstwissenschaftliche Studien.
Nach einigen Reisen durch Italien zog Einstein 1928 nach Paris. 1932 heiratete Einstein die Französin Lyda Guévrékian. Nach dem Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges ging er im Sommer 1936 nach Barcelona, seine Frau folgte ihm. Nach dem Sieg Francos im Spanischen Bürgerkrieg floh Einstein 1939 nach Paris. Einstein und seine zweite Frau kamen für eine Weile bei den Leiris unter. Als deutscher Staatsangehöriger im Frühjahr 1940 bei Bordeaux interniert und im Juni entlassen, nahm er sich nach der Niederlage Frankreichs das Leben. (Wiki)
Das Portrait von Carl Einstein wurde 1921 von Anita Rée (1985 - 1933) gemalt. 1932 verließ die Künstlerin Hamburg und zog nach Sylt. Am 25. April 1933 wurde sie von der Hamburgischen Künstlerschaft als „artfremdes Mitglied“ diffamiert und ausgeschlossen. Schon seit längerer Zeit war die Künstlerin durch die Anfeindungen und persönlichen Enttäuschungen vereinsamt; all dies trieb sie am 12. Dezember 1933 in den Suizid. Kurz bevor sie sich das Leben nahm, schrieb sie an ihre Schwester Emilie:
„Ich kann mich in so einer Welt nicht mehr zurechtfinden und habe keinen einzigen anderen Wunsch, als sie, auf die ich nicht mehr gehöre, zu verlassen. Welchen Sinn hat es – ohne Familie und ohne die einst geliebte Kunst und ohne irgendwelche Menschen – in so einer unbeschreiblichen, dem Wahnsinn verfallenen Welt weiter einsam zu vegetieren … ?“
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