Du fremder Mensch in der Seele
Du fremder Mensch in der Seele,
Sag an! Nenn’ deine Station!
Gib Auskunft! Erzähle! Erzähle!
Wie ich an den Drähten mich quäle.
Ganz fern schon verraucht mir der Ton.
Du hast mir den Himmel gesungen,
Dann war der Empfang gestört.
Vielleicht ist die Leitung zersprungen.
Vielleicht ist das Wort schon erklungen,
Und ich hab’s nur nicht gehört?
Die Stimme! Nun schwindet sie wieder,
Erstickt vom Gepfeif und Gebraus!
Die reinen, verschollenen Lieder,
Ich zwinge sie nimmer hernieder,
Ich glaube, ich schalte aus.
Alice Rühle-Gerstel, aus: Verlassenes Ende. Skarabäus, Innsbruck 1998
Alice Rühle-Gerstel (* 24. März 1894 in Prag; † 24. Juni 1943 in Mexiko-Stadt), Schriftstellerin, Individualpsychologin und Frauenrechtlerin. Von 1917 bis 1921 studierte sie in Prag und München Literaturwissenschaften und Philosophie. 1921 promovierte sie mit einer Arbeit über Friedrich Schlegel und Chamfort. Im selben Jahr heiratete die Schülerin Alfred Adlers den Rätekommunisten Otto Rühle.
1924 gründete sie den Verlag Am andern Ufer – Dresden-Buchholz-Friedewald und gab die Monatsblätter für sozialistische Erziehung heraus. Als Anhängerin des Sozialismus war sie bereits vor Beginn der faschistischen Nazi-Herrschaft in Deutschland nicht mehr sicher, daher ging sie 1932 in ihre Heimatstadt Prag zurück. Doch auch Prag verließ sie nach wenigen Jahren und folgte 1936 ihrem Ehemann nach Mexiko, der dort Familie hatte. In Mexiko arbeitete sie als Übersetzerin in einem Regierungsbüro und als Handelsjournalistin. Trotz bestehender Freundschaften zu Trotzki, Frida Kahlo und Diego Rivera fühlte sie sich in Mexiko nie heimisch und nahm sich am Tag des Todes ihres Mannes Otto Rühle im Juni 1943, der einem Herzinfarkt erlag, im mexikanischen Exil das Leben, indem sie sich kurz danach aus dem Fenster stürzte. (Wiki)
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