Dienstag, 24. Januar 2023

Walter Hasenclever: Frauen III.

 


Frauen III.

Die Lampe flackert leise, leise.
Sonst keine Unrast weit und breit;
Nur Bilder, wie auf weiter Reise,
Stehn an den Wänden angereiht.

Und manchmal scheint ein Bild zu treiben ...
Dazu Ölfarben und ihr Duft,
Und durch die offenen Fensterscheiben
Gleichmäßig kühle Abendluft.

Der Rauch von einer Zigarette
Steigt ab und zu - ein blasser Schein -
Und Malkasten und Palette
Schlafen langsam dabei ein.

Jemand scheint vor der Tür zu lauschen,
Ein Käuzchen ruft vom Walde her;
Sie wäscht die Pinsel - Und ein Rauschen
Tönt durch den Raum, wie fernes Meer.

Walter Hasenclever, aus: Gedichte an Frauen, Rowohlt Verlag Berlin 1922

Walter Hasenclever, geboren am 8. Juli 1890 in Aachen; gestorben am 21. Juni 1940 in Les Milles bei Aix-en-Provence)
1910 erschien sein erster Gedichtband Städte, Nächte und Menschen. 1914 gelang ihm mit dem Stück Der Sohn das erste große Werk des expressionistischen Dramas. Mit großem Erfolg veröffentlichte er 1926 die Komödie Ein besserer Herr und 1928 die Komödie Ehen werden im Himmel geschlossen.
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurden seine Werke verboten und nach der Bücherverbrennung aus den Bibliotheken entfernt. Hasenclever ging daraufhin ins Exil nach Nizza. Nach der Niederlage Frankreichs nahm er sich in der Nacht vom 21. auf den 22. Juni im Internierungslager Les Milles bei Aix-en-Provence mit einer Überdosis Veronal das Leben.

Das Bild ist von Florine Stettheimer (1871 - 1944)

Ludwig Rubiner (1881 - 1929): Lyrische Erfahrungen

Der heutige Maler hat eine andere Perspektive als einer aus den vorigen Generationen. Seine Perspektive ist nicht mehr eine optisch-geometrische, die alles nach einem einzigen "Augenpunkt" im Bild aufbaut, sondern eine nach den innerlich wichtigsten Vorstellungen. Nicht mehr eine Perspektive der Naturwerte, sondern eine der geistigen Werte.

Die Veränderungen im Kunstgefühl der Dichtung sind sehr ähnlich. Stefan George, der in den letzten zwanzig Jahren der mächtigste Gesetzgeber des deutschen Gedichtes war, ist für uns heute schon eine heldenhafte Episode der deutschen Sprache. Da sollte die Beschränkung auf das Nur-Gesehene sein. Und wir empfingen von dieser Handwerksbescheidenheit den neuen, herrlichen, ungeheuren sinnenhaften Lakonismus; eine durch Jahrhunderte nicht geübte Energieaufspeicherung der Rede. Dagegen, technisch: Beschränkung auf das Nur-Messende, die bloße Taktwiederholung des Verses. Und Georges Imitatoren haben ja, auf die selbe Art wie der Dilettant in der Musik, das Rhythmische ganz verwischt und nur das äußere Taktmaß monoton wie Uhrpendel klappern lassen. (Merkwürdigerweise darf das in Deutschland "Form" genannt werden. Und es käme nur darauf an, daß Leute mit Mut zur Profanation der "Kunst" einmal praktisch zeigten, wie die angebliche Form dieser sogenannten Kultur-Dichtung ganz automatisch, von Beschäftigungslosen in Fabrik-Cantinen erzeugt werden kann.)
Doch der neue Dichter weiß, daß er "gesehen" hat. Das liegt vor allen Ereignissen. Er denkt. Er hat nicht die Angst vor dem Denken (während die Generation der "Form"-Dichter es vorzog, "naiv" zu sein, ahnungslos, "rein", – mit den fürchterlichen Konsequenzen, die eine ins tägliche Verhalten übersetzte Kombination aus Richard Wagner und Goethen ergibt). Das Denken ist doch die Wirklichkeit des Dichters. Er bedichtet seine Wirklichkeit.

Und diese geistige Dichtung des heutigen Deutschland trat nicht willkürlich auf, hängt an keinem Einzelnen und ist keine "Schule". Die Dichter des Denkens kamen von verschiedenen Ländern auf dieser Himmelskarte des Geistes, mit verschiedenen Fähigkeiten; und ich weiß, einige von ihnen können sich sogar untereinander nicht leiden. Wir alle kennen heute Max Brod, den folgenreichsten Lyriker des Geistes, den impetuosesten: René Schickele; den berührtesten, Franz Werfel; und Ferdinand Hardekopf, den interessantesten Experimentator gehirnter Verse in unserer Sprache.

Zu ihnen tritt jetzt ein junger Mensch von großer, neuer Begabung, Walter Hasenclever. Sein Gedichtbuch heißt "Der Jüngling" (Verlag von Kurt Wolff, Leipzig), und aus ihm liest man, hinweg über einiges Dumpfe und über zu viel ängstlicher Reimlust, die große Zukunft eines Dichters, dem sein Denken (oft noch traditionell), zur rhythmischen Tatsachenvorstellung geworden ist.

"Wir spannen Drahtseile aus an metallnen Himmeln.
Wir sind ein Schwarm von Vögeln zusammengeballt.
Wir jagen mit Revolvern auf fliegenden Schimmeln.
Wir pendeln am Stricke vor dem Staatsanwalt.
Wir leben, um uns zu betrügen.
Wir tanzen alle Tänze mit dem Knie.
Wir umarmen brüllend den und die.
Wir fahren in allen Expreßzügen."

("Wir tanzen alle Tänze mit dem Knie": stärkste Dichtung!)

Vielleicht sieht man an solchen Versen, wo unsere geistige Leidenschaft heute aufs stärkste erregt wird. Das ist im Bewußtwerden vom Zusammenleben der Menschen auf dieser Erde; von der Existenz der anderen. Eine Raum-Angelegenheit. Wir wissen heute von Menschen. – Zwanzig Jahre künstlerischer Inselexistenz haben die Augen geschärft und die Worte gestärkt. Aber der geistigen Dichtung unserer Tage geht es nicht mehr um Empfindungsgrade, sondern um Fakten. Nicht ein "Erlebnis" ist mehr merkenswert, sondern daß im Augenblick dieses Erlebnisses so unendlich viele, getrennte, unterschiedene Erlebnisse sich ereignen, die alle zusammen mit ihren Willenslinien den Organismus dieses Menschendaseins bauen.

Die heutige Dichtung wird wieder eine Dichtung der Werte. Sie wird auch schon, in einem erneuten Sinn, politisch.

Aus: März. Eine Wochenschrift. Jg. 7, 1913, 12. Juli, S. 71-72.

Wenn manchmal in den wünschetollen Nächten
Mein Blut mich quält, weil Du es zu Dir riefst,
Dann greife ich in Deines Haares Flechten,
Und küsse sacht die Stelle, wo Du schliefst.

Und höre, wie Du träumst, und werde selig,
Und weiß: Du bist wie ich. Und ich wie Du.
- - - - - - - - - - - - und mählich
Singt sich mein Herz zur Ruh. 

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