Dienstag, 24. Januar 2023

Christian Friedrich Wagner: Tausendmale

 


Tausendmale

Tausendmale werd‘ ich schlafen gehen,
Wandrer ich, so müd und lebenssatt;
Tausendmale werd‘ ich auferstehn,
Ich Verklärter, in der seligen Stadt.

Tausendmale werde ich noch trinken,
Wandrer ich, aus des Vergessens Strom;
Tausendmale werd‘ ich niedersinken,
Ich Verklärter, in dem seligen Dom.

Tausendmale werd‘ ich von der Erden
Abschied nehmen durch das finstre Tor;
Tausendmale werd‘ ich selig werden,
Ich Verklärter, in dem seligen Chor.

Christian Friedrich Wagner, geboren am 5. August 1835 in Warmbronn, Baden-Württemberg; gestorben am 15. Februar 1918 ebenda, Kleinbauer und Dichter. Aus: Gesammelte Dichtungen, herausgegeben von Otto Güntter, Stuttgart 1918

Seine Stellung zur Kriegslyrik war eindeutig, wie aus einem Brief an Hermann Hesse hervorgeht: Nachdem er schon mehrfach „um Kriegslieder angegangen worden“ sei, schreibt er weiter: „das Heldentum des Nitroglyzerins erkennen wir [Dichter] nicht an!“ Als der befreundete Dichter und Kriegsdienstverweigerer Gusto Gräser aus Deutschland ausgewiesen werden sollte, setzte er sich für ihn ein. Der spätere Dadaist Johannes Baader besuchte ihn 1916 in Warmbronn und hielt daraufhin begeisterte Vorträge über Wagner.

Er leidet sehr unter dem fortgesetzten Kämpfen und Töten und wünscht sich, Eremit zu werden. „Ich beklage, dass es in Deutschland keine Wälder mehr gibt, wie im Mittelalter, zur Zeit der Eremiten, in die hinein ich mich verkriechen könnte, um dort nur noch mit frommen Tieren zu leben.“

„Lieber ein barmherziger Heide als ein unbarmherziger Christ“

„... er fühlte die tiefe Zusammengehörigkeit zwischen Tier, Mensch und Pflanze, Stein und Stern. Und er liebte das alles. ... Er war dogmenlos fromm. ... Er war allerdings ein Landmann; er hat die Natur gekannt, aber das Hälmchen war ihm kein Anlaß, 'Duliöh!' zu schreien oder ein knallig angestrichenes Gemüt leuchten zu lassen. Er war ein in sich gekehrter Künstler und wohl wert, daß wir ihn alle läsen und verehrten.“ (1919)

Kurt Tucholsky

Das Bild ist von Theodor Kittelsen (1857 - 1914) 

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