Dienstag, 24. Januar 2023

Emil Rudolf Weiß: Der bunte Dämon

 


Der bunte Dämon

Sei du der Panther dieser neuen Häuser,
Aus Glas und Eisen, aus Beton und Licht,
In denen keine Tiere hausen.
Sei Katze du, mit langen Hüften, kühn und ohne Tränen.
Sei hartes Tier, dass nichts vom Tode weiß, bevor es stirbt.
Sei hold, du holdes Tier, daß nichts vom Tode weiß, bevor es stirbt.
In sich verkrümmtes Tier, wie Feuer glänzend,
Vor Freude bebend, blutig und beschwingt in seiner Leidenschaft,
Auf Inseln wohnend, ohne seinesgleichen.
Von Inseln bringe Schmerzensschrei und stärkste Lust,
und im gesenkten Hals endloses
Weites Schreiten ohne Müdigkeiten.
Von jenen Inseln, die im Meere starren,
Wo harte Blumen unüberwindlich bunt aus Bitterlauge wachsen,
Und sich in giftigen Meereswogen spiegeln wie am süßen See. . .
Sei immer!
Sei Glühfaden, immer zitternd in den leeren Lampenbirnen,
immer leuchtend, so lang du lebst,
Mehr Stern als Sterne!
Bunter Dämon!
Tanze ewigen Frühling, ewiges Licht.
Tanze den ersten Kuß der Geschlechter, die ewige
Rechtfertigung Gottes
Umkreise die Sonne, bunter Dämon, mit der Sonne
tanzt du um Gott.

Emil Rudolf Weiß, aus: Die Aktion, Ausgabe 06, 1916

Emil Rudolf Weiß, geboren am 12. Oktober 1875 in Lahr, Baden; gestorben am 7. November 1942 in Meersburg, war Typograf, Medailleur, Grafiker, Maler, Lehrer und Dichter.

Der fachmann ..., der nichts ist als buchmann, schriftmann, ist ganz gewiß notwendig und wichtig, aber nur der Künstler, der schöpferisch tätige, der schöpferisch zerstörende, erfindende und aufbauende Mensch ist wesentlich, einmalig und unersetzlich.

Emil Rudolf Weiß in einem Vortrag, 1931 (Groß- und Kleinschreibung so im Original)

Da er sein Augenmerk nicht nur auf alle gestalterischen Aspekte eines Buches richtete – das heißt neben Satz und Schrift auch auf Illustration, Einband- und Umschlaggestaltung –, sondern regelmäßig auch die poetischen Texte selbst beisteuerte, wurden seine Bücher echte Gesamtkunstwerke.

Seit 1910 als Professor an der Unterrichtsanstalt des Staatlichen Kunstgewerbemuseums in Berlin tätig, wurde er aufgrund einiger als entartet verunglimpften Gemälde 1933 von den Nationalsozialisten in den vorzeitigen Ruhestand versetzt.

Das Bild „Der Lärm der Straße. . .“ ist von Umberto Boccioni (1882 - 1916)

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