Herz und Hals
Die Asphaltfläche schimmert feucht.
Wenn Pferdehufe sie beklopfen,
und wenn ein Auto drüberkeucht,
dann spritzen rings die Regentropfen.
Der Kragen, hochgeklappt, vermummt
dicht unterm Schirm die Menschenlarven.
Die Telegraphenleitung summt
im nassen Wind wie Aeolsharfen …
Mich schrecken Sturm und Regen nicht.
Hinaus, wo sich die Bäume biegen!
In meinem Herzen ist es licht:
die Liebe lehrt den Herbst besiegen.
Ich knöpf’ den Mantel auf, ich Narr,
und lauf’ ins Freie, plan- und ziellos.
Die Folge ist ein Halskatarrh.
(Die Wirklichkeit ist poesielos.)
Erich Mühsam aus: Simplicissimus, 17. Jg. (1912/13), Heft 50 (10. März 1913)
Mühsam, Erich (6. 4. 1878 - 10. 7. 1934), Dichter, Anarchist, Suchender mit kindlichem Herzen, Mitinitiator der Münchner Räterepublik, dafür von den Nazis gehasst und schließlich im KZ Oranienburg ermordet.
Das Bild ist von Gustav Caillebotte (1848 - 1894)
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