Dienstag, 24. Januar 2023

Hugo Ball: Frohes Erwachen

 


Frohes Erwachen

Ach, wo war ich in den Nächten
Und wie flog ich in den Träumen,
Dass ich kaum mich wiederfinde
Zwischen Veilchen, unter Bäumen.

Mond und Venus, alle beide
Neigen sich im lauen Himmel
Doch mein Herz ist noch erschüttert
Vom Gedanken, vom Getümmel

Der Soldaten und Propheten
Und es zittern noch die Sinne
Und es pochen noch die Schläfen
Von Gebet und Gottesminne. . .

Als ein rechter Schnitter hab ich
In den Garten mich begeben
Schaue nach den jungen Trieben
Und beschneide meine Reben.

Grün in allen Adern regt sich
Neues Blut und neue Blüte
Aus den alten Tiefen steigt es
Und verzweigt sich im Gemüte.

Blaue Blumen will ich säen
Und die roten Rosen binden.
Eine Laube will ich flechten
Für die Stare und die Finken.

Hugo Ball (1886 - 1927), aus dem Nachlass, Schweizerische Nationalbibliothek

Frohes Erwachen (Version 2)

Ach, wo war ich in den Nächten
Und wie flog ich in den Träumen,
Dass ich kaum mich wiederfinde
Zwischen Veilchen, unter Bäumen.

Als ein rechter Schnitter hab ich
In den Garten mich begeben
Schaue nach den jungen Trieben
Und beschneide meine Reben.

Froh in allen Adern regt sich
Neues Blut und neue Blüte
Aus den alten Tiefen steigt es
Und verzweigt sich im Gemüte.

Blaue Blumen will ich säen
Und die roten Rosen binden.
Eine Laube will ich flechten
Für die Stare und die Finken.

In die Ruhe will ich tauchen,
Mit den kleinen Echsen spielen,
Will den Regenbogen bauen
Und die liebe Sonne fühlen.

Aus: Emmy Ball-Hennings - Hugo Ball, Sein Leben in Briefen und Gedichten, Mit einem Vorwort von Hermann Hesse, S. Fischer Verlag, Berlin 1930

Das Bild „Das Paradies“ ist von Augusto Giacometti (1877 - 1947)

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