Dienstag, 24. Januar 2023

Wilhelm Runge: Lied

 


Lied

Finstre Efeuhecke hin zum Grab
fällt Dein Haar
Trauer schluchzt wild auf die stille Bank
immer — immergrünverrankt
und des Auges blaues Veilchen
blüht auf hartem Steine
ruhesanft.
An Dein Antlitz kann der Wind nicht rühren
blätterstill ist aller Zweige Mund
bis des Schmerzes schriller Vogel
aus dem Schlummer Deiner Lippe fährt
und die Wipfel wildes Stürmen packt
das diie Aeste
bodenhin — hoch — himmelauf
zerfetzt

Lied

Wenn Du Deine Augen schließt
ist alles dunkel
meine Hand, die zu Dir will
geht irre
dunkel stehe ich ein Baum auf einem Kirchhof
Nur durch meine Zweige läutet Abend
und die Wolken die vorüberziehn
weinen
weinen, bis Du aufschaust
hochauf flattern Falter
Frühling sonnt im Strahl den Blumen hoch
und mein Fuß der eben wie ein Bettler müd am Grabenrande liegt
springt auf
Nun die Welt den Schwarm hilfreicher Wege vor das Antlitz seiner Wünsche wirft.

Wilhelm Runge, Der Sturm, 10. Heft Januar 1919

Wilhelm Runge, geboren am 13.6.1894 Rützen/Schlesien, am 22.3.1918 bei Arras „gefallen“. In Schlesien aufgewachsen, ging Wilhelm Runge 1914 als Kriegsfreiwilliger an die Front. Vor Ypern wurde er im Nov. 1914 verwundet, 1915 kam er nach Berlin u. studierte Medizin. Dort schloss er sich dem »Sturm«- Kreis um Herwarth Walden an. Besonders eng befreundete er sich mit Georg Muche, damals Lehrer an der Kunstschule des »Sturm«, und dessen Braut Sophie van Leer. Im »Sturm« erschien fast seine gesamte Lyrik. Anlässlich seines frühen Todes schrieben Franz Richard Behrens, Kurt Heynicke u. Walter Mehring poetische Nachrufe; Muche widmete ihm ein Ölgemälde zum Gedächtnis. Das einzige Buch, der Gedichtband Das Denken träumt (Berlin 1918), wurde von Wilhelm Runge noch im Feld korrigiert, aber erst nach seinem Tod veröffentlicht.



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